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Das Chorgestühl der Stiftsbasilika

Einleitung

Unsere Stiftsbasilia ist im Chorraum mit einem aus vier Teilen bestehendem Chorgestühl ausgestattet, das heute 26 Plätze bietet. In diesem Gestühl, dem im vorderen Bereich links und rechts noch eine Gestühlreihe vorgesetzt war, nahmen die Herrieder Chorherren ihren Platz beim täglichen Chorgebet ein.

Geschichte

Als Chorgestühl bezeichnet man ein- oder mehrreihige Sitzreihen an den Längsseiten des Chorraums einer Kirche. Steinerne Sitzgelegenheiten für Mönche im Altarraum kennt man schon aus dem 4. Jahrhundert in römischen Basiliken. Diese Sitzgelegenheiten gab es noch bis in die romanische und früh-gotische Zeit. Dann kamen Sitzreihen aus Holz, die den Sitzenden weniger der Kälte aussetzten und die auch platzsparender waren. Das Chorgestühl besteht üblicherweise aus gestuften, hölzernen Sitzreihen und ist nach hinten von einer Rückwand - Dorsale genannt - abgeschlossen. Die Chorstühle, volkstümlich Stallen, vom lateinischen stallae, sind mit Armstützen und oft auch mit Klappsitzen ausgestattet. An den Klappsitzen waren Konsolen, sogenannte "Misericordien" - lateinisch: Misericor-dia = Mitleid, Barmherzigkeit - angebracht. Sie ermöglichten den Geistlichen beim längerem Stehen während der Liturgie ein Abstützen. Die Klappsitze selbst können hochgeklappt werden und dienten beim längeren Stehen während des Chorgebets als Stütze. So bildete das Chorgestühl Ruhemöglichkeiten während des Chordienstes und dem täglichen gemeinsamen Chorgebet. Die einzelnen Plätze des Chorgestühls können durch Wände voneinander getrennt sein. Um 1300 wurde mit der Verzierung des Gestühls begonnen, das nach und nach zu prunkvollen Einrichtungsgegenständen wurde.

 

Auf die Klappe des Chorgestühls geht auch unsere Redewendung "Halt die Klappe" zurück. Im Internet konnte dazu recherchiert werden:

"Halt die Klappe"
Dieser Ausspruch stammt aus dem frommen Mittelalter. Er geht darauf zurück, dass im Chorgestühl der Kirche Klappsitze angebracht waren, die möglichst geräuschlos heruntergeklappt werden sollten. Wer die Klappe beim Aufstehen fallen ließ zog sich durch den entstehenden Krach den Zorn des Oberen zu, der den "armen Sünder" mit den Worten tadelte: "Halt die Klappe"."

Vielfach findet man am Chorgestühl als Verzierung teuflische Wesen, die ins Kircheninnere vorgedrungen sind. Sie müssen dann den Chorherren und Mönchen in Form der o.a. Misericordien "untertan" sein und wurden als Handlauf von den frommen Herrn "in den Griff" genommen. Sie dienten aber auch als Stütze beim Aufstehen und versahen damit niedere Dienste.

Die Zahl der Sitze orientierte sich normalerweise an der Zahl der Kleriker. Seit dem 15. und 16. Jahrhundert kennt man in den Kirchen auch Laiengestühl. Es zählte nicht zum Chorgestühl, sondern war an Wände oder Pfeiler angebaut. Vielfach hatten die Zünfte, Gilden und auch die Räte der Stadt ein eigenes Gestühl. Auch gab es für Familien und Bürger, die für die Kirche stifteten, eigenes Kirchengestühl.

Eine Besonderheit bildete das Chorgestühl bei den Zisterziensern, weil dort nach der Ordensregel auch beim Chorgestühl die Zellenform beibehalten werden musste. Die Zwischenwangen wurden höher ausgeführt und bildeten somit eine kleine Zelle für die einzelnen Mönche.

Auf die einzelnen Sonderformen des Chorgestühls im Laufe der Geschichte soll hier nicht näher eingegangen werden, vielmehr ist für uns

Das Chorgestühl in unserer Stiftsbasilika

von Interesse, das im Laufe der Geschichte auch Veränderungen unterworfen war.

Wir kennen in unserer Basilika vier Chorgestühlreihen an den Außenwänden des Chors. Nahe zum Hochaltar je ein Gestühl mit je sieben Plätzen, geschmückt mit Darstellungen der zwölf Apostel, Moses und Abraham . In Verlängerung zum Kirchenschiff links und rechts einfacheres Chorgestühl mit je sechs Sitzplätzen, das in früheren Jahren den Mallersdorfer Schwestern bzw. den Armen Schulschwestern als Platz beim Gottesdienst diente.

Aus einem alten Plan aus dem Jahre, den Stefan Ubl bei seinen Recherchen zur Fronveste im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München gefunden hatte, wissen wir allerdings, dass bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts weiteres Chorgestühl vorhanden war.

Zunächst war dem siebensitzigen Chorgestühl links und rechts ein weitere Gestühlreihe vorgesetzt, wohl um den ursprünglich bei der Gründung des Stifts genannten 33 Chorherren Platz zu bieten.

Dieser Plan aus dem Jahre 1826 zeigt uns ferner, dass das Kirchengestühl im Hauptschiff bis etwa zur Höhe der Kanzel ursprünglich längs angeordnet und beidseits des Mittelgangs mit Chorgestühl ausgestattet war. Dieses Gestühl im Hauptschiff des Gotteshauses war privilegierten Personen vorbehalten. Es gab Anweisungen welche Personen in diesem reservierten Gestühl Platz nehmen durften. Dahinter befand sich, ebenfalls längs gestellt, einfacheres Kirchengestühl.

Diese Anordnung wurde Mitte des 19. Jahrhunderts aufgegeben. Der Kreuzaltar wurde abgebrochen, das eiserne Chorgitter wurde unter die Empore versetzt, um den Gläubigen bei der Feier des Gottesdienstes freien Blick auf den Hochaltar zu ermöglichen. Dabei wurde auch das früher längs gestellte Gestühl im vorderen Bereich des Hauptschiffs entfernt und das Kirchengestühl quer eingebaut. Dies bestätigt uns ein Schreiben des damaligen Stadtpfarrers Georg Bernhard vom 11.8.1846, in welchem er um oberhirtliche Genehmigung zur Entfernung des Kreuzaltars und des eisernen Gitters bittet und um Zustimmung nachsucht, dass die bisher längsgestellten Kirchenbänke im vorderen Bereich des Hauptschiffes nunmehr quer angeordnet werden dürfen.
Es ist zu vermuten, dass bei dieser Umgestaltungsmaßnahme auch Veränderungen beim Chorgestühl vorgenommen wurden. Es konnte allerdings bisher kein Nachweis hierzu gefunden werden.

Beschreibung des Chorgestühls in der Stiftsbasilika

 

Das Herrieder Chorgestühl im vorderen Chorbereich gliedert sich von seinem Aufbau in sogenannte Dorsale, verzierte hölzerne Rückenwände und in ein durchgehendes Pult mit schräger Ablage. Die einzelnen Sitze sind durch Wangen abgeteilt, die alle künstlerisch gleichgestaltet sind. Zum Sitzen werden Klappsitze verwendet. Zur Unterstützung des während des Gottesdienstes oder dem Chorgebet Stehenden sind die Klappsitze mit Konsolen versehen, die dem Stehenden Halt und Stütze bieten. Die einzelnen Wangen sind verziert und haben einen Knauf, der als Kopf eines Dämonen oder bösen Geistes gestaltet ist (siehe nachfolgende Fotos). Sie stellen in der Gotik und auch in der Romanik die dämonische, ungeheuerliche Seite des Bösen dar. Das fratzenhafte Böse wurde in der Gotik und Romanik aus der Kirche verbannt. Wir kennen solche Darstellungen oft als Wasserspeier im Außenbereich. Im Kircheninnern finden diese Dämonen nun ihren Platz im Chorgestühl und müssen untergeordnete Dienste tun, sie dienen dem Chorherrn oder Mönch als Stütze und sind ihm so untertan.

 

Über den einzelnen Sitzen finden wir in den Muschelnischen die eingangs schon erwähnten Darstellungen der zwölf Apostel, ferner Abraham und Moses. Die im Laufe der Zeit mehrfach aufgetragenen Farb- bzw. Lackschichten der Figuren wurden bei der letzten Kirchenrestaurierung wieder abgetragen und die frühere Holzsichtigkeit wieder hergestellt. Die Entstehungszeit der Apostel- und Prophetenfiguren, die bisher unbekannt war, kann zwischenzeitlich zugeordnet werden. Bei der Durchsicht von Rechnungsbüchern der Kirchenstiftung aus dem 19. Jahrhundert, konnten zwei Rechnungen aus der Zeit Ende 1896/Anfang 1897 gefunden werden. Es handelt sich demnach um Tiroler Schnitzerein. Die "Kunstwerkstätte Franz Reichart - Atelier für den kirchlichen Gebrauch in Innsbruck-Wilten" quittiert insgesamt einen Betrag von 132 Mark für 12 Apostelfiguren. Diözesankonservator Dr. Emanuel Braun, ist in seinem Kirchenführer "St. Vitus und St. Deocar
Herrieden" aus dem Jahre 1985 auf die Figuren nicht näher eingegangen. Er wurde durch das Pfarrarchiv von den Rechnungsfunden informiert und antwortet am 22.03.2013 "....soweit es sich anhand der Abbildungen beurteilen lässt, handelt es sich bei den Skulpturen um Arbeiten aus der Epoche des romantischen Historismus in neugotischem Stil. Man kann sie also durchaus mit der Rechnung von 1896/97 in Verbindung bringen. Auch der angegebene Betrag erscheint für diese Leistung realistisch. Vielleicht sind die Propheten, vorausgesetzt, sie sind stilistisch und technisch identisch, von der Werkstätte als "Dreingabe" nicht berechnet worden". Um noch nähere Informationen zur Kunstwerkstätte Franz Reichart zu erhalten, wurde mit dem Stiftsarchiv des Prämonstratenserstifts in Wilten Kontakt aufgenommen. Schließlich konnte das Stadtarchiv der Landeshauptstadt Innsbruck Informationen zu Franz Reichert beitragen. Es wurde von dort berichtet:
"Franz Reichart, Bildhauer, wurde am 10. Mai 1850 in Grän bei Tannheim in Tirol geboren. Sein Vater war Zollbeamter in Hall in Tirol. 1880/81 besuchte Franz Reichart die Kunstakademie München und 1881/82 die Kunstakademie Wien. 1883 richtete er sich ein Atelier für kirchliche Kunst in Hall in Tirol ein, welches er später nach Wilten/Innsbruck in die Andreas-Hofer-Str. 41 verlegte. 1899 bietet er einen Privatkurs für Modellierarbeiten in Innsbruck an. 1911 eröffnet er in der Bürgerstraße 32 in Innsbruck ein Antiquitätengeschäft. Er verstarb am 22. Februar 1912 in Innsbruck."

Beispielhaft sollen hier nur einige Figuren dargestellt werden, nämlich der Apostel Petrus und Moses mit den Gesetzestafeln:

Das dem Kirchenschiff näherliegende Chorgestühl mit je sechs Sitzen ist einfacher gestaltet, während in die vorderen Chorgestühlreihen mit je sieben Sitzen mehr Handwerkskunst investiert wurde.

Bei der letzten Kirchenrestaurierung wurde das gesamte Chorgestühl vor Ort restauriert. Die vorgenommenen Arbeiten wurden in einer Dokumentation fotografisch erfasst und im einzelnen beschrieben.
Nach den Ausführungen des Holzrestaurators Harald Imich aus Günzburg ist der untere Teil des Gestühls mit Pult, Klappsitzen und Schulterringen der Gotik zuzurechnen, während die Rückwand des Chorgestühls aus der Renaissance stammt. Diözesankonservator Dr. Emanuel Braun aus Eichstätt beschreibt im "Kirchenführer St. Vitus und St. Deocar Herrieden" das Chorgestühl wie folgt:

"Aus zwei heterogenen Teilen besteht das Chorgestühl. Die schlichten spätgotischen Stallen gehören der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts an. Das Dorsale entstand in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts als Pilasterarchitravwand und ist im östlichen Teil mit Apostel- bzw. Prophetenfiguren in Nischen ausgestattet".

Die nördlichen und südlichen Chorgestühlreihen sind durch Türen getrennt. Diese Türen sind dem Barock zuzurechnen. Die nördliche Tür führt in die Sakristei, während sich hinter der südlichen Tür ein Wandschrank befindet, der als Aufbewahrungsort für liturgische Geräte dient.

Bei seinen Arbeiten stößt der Restaurator auf Details, die ihn zu der Vermutung veranlassen, dass das Chorgestühl ursprünglich nur aus zwei Blöcken bestand, einem südlichen und einem nördlichen.
Zapfenlöcher in den Abständen zwischen den jeweiligen zwei Blöcken deuten daraufhin, dass man einen Sitz entfernt hatte. Der Restaurator schreibt in seinem Restaurierungsbericht auch, dass die beiden siebensitzigen Blöcke des Chorgestühls jeweils um ein Füllungsfeld verbreitert wurden. Er stellt weiter fest, dass die Oberflächen der Rückwand - Dorsale genannt - und der Brüstungselemente sich nicht von denen der Sakristeieinrichtung unterscheiden.

Bei den Restaurierungsarbeiten wurden die Sakristeischränke ausgebaut und in die Werkstätte verbracht. Danach war festzustellen, dass es ursprünglich eine andere Türöffnung zum Chorraum gab, die durch den Sakristeischrank links vom Sakristeieingang einerseits und durch das vordere nördliche Chorgestühl verdeckt wird.

Die Grundkonstruktion wird als stabil beurteilt, deshalb bestand das Restaurierungskonzept in der Sicherung der Chorstühle, in einer notwendigen Instandsetzung, der Festigung loser Verbindungen, der Stabilisierung in Einzelbereichen, der Reinigung und der Abnahme sogenannter "speckiger Überzüge". Das Restaurierungskonzept sah die Zusammenführung der zu unterschiedlichen Zeiten und sehr heterogen ausgeführten Veränderungen und Ergänzungen zu einem harmonischen Gesamt-eindruck vor, ohne die Geschichte des Objekts zu verfälschen oder zu verfremden.

Heute wird das Chorgestühl nur bei besonderen festlichen Gottesdiensten benützt, lediglich das linke untere Chorgestühl mit seinen sechs Plätzen dient bei allen Gottesdiensten dem Mesner, den Lektoren und Kommunionhelferinnen und Kommunionhelfern als Platz.



Herrieden, Juni 2014

Rudolf Eder

Pfarramt Aurach
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